Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren! Die IQB Ländervergleichsstudie
in den mathematisch-naturwissenschaftlichen
Fächern hat erstmals auch
den Migrationshintergrund von Schülerinnen und
Schülern abgefragt und deren Ergebnisse in den
Tests in den Fächern Mathematik und Biologie mit
den Ergebnissen von Schülerinnen und Schülern
ohne Migrationshintergrund verglichen.
Nun hat NRW neben den Stadtstaaten Hamburg,
Bremen und Berlin sowie den westdeutschen Flächenländern
den höchsten Anteil von Kindern und
Jugendlichen mit Migrationshintergrund, der in der
Untersuchung zwischen 20 und 40 % an der Gesamtzahl
betrug. Bei den ostdeutschen Bundesländern,
die in der Studie besonders gut abgeschnitten
haben, lag dieser Anteil bei weit unter 10 %.
Während sich die Resultate der Schüler ohne Migrationshintergrund
in beiden Fächern über dem
bundesweiten Mittelwert von 500 Punkten befanden,
waren die der Schüler mit Migrationshintergrund
mit bis zu 40 Punkten unter diesem Wert,
was in der Untersuchung einem Leistungsrückstand
von bis zu zwei Jahren entspricht. Ähnliche Werte
haben übrigens auch alle anderen westdeutschen
Bundesländer, unabhängig von der jeweiligen Farbe
der Landesregierung.
Die Werte für Schüler aus Migrantenfamilien – mit
Ausnahme von Schülerinnen und Schülern aus
Aussiedlerfamilien – sind nicht zu beschönigen und
geben Anlass zur Sorge; das ist heute mehrfach
gesagt worden.
Einmal mehr offenbart sich, dass das eigentliche
Problem nicht bloß ein fachliches der Fächer Mathematik
und Physik ist, sondern vor allen Dingen
ein sprachliches. Die gute Beherrschung der deutschen
Sprache, aber vorausgehend natürlich auch
der eigenen Muttersprache ist eine wichtige Grundlage
für die sprachliche Erschließung des Unterrichtsstoffes,
nicht nur im Fach Deutsch, sondern
auch in Fächern wie Mathematik, Physik, Biologie
usw. Es wird ein hoher Grad an sprachlicher Abstraktion
von Schülerinnen und Schülern abverlangt,
und es ist problematisch, wenn Schüler nicht über
ihre Ausgangssprache, ihre Alltagssprache hinauskommen
können.
Die Problematik, dass Kinder und Jugendliche mit
einer anderen Muttersprache als Deutsch in Mathematik
zum Teil nicht die erforderlichen Leistungen
erbringen können, ist bereits durch Studien wie
die der OECD im Jahre 2007 belegt worden. Ich zitiere
hier Michael Meyer und Susanne Prediger. Sie
bezeichnen die sprachliche Erschließung im Unterricht
in dem Aufsatz „Sprachenvielfalt im Mathematikunterricht“
als notwendige Fähigkeit der Schüler,
zwischen ihrer eigenen Alltagssprache und der im
Unterricht vorkommenden Fachsprache mittels einer
Bildungssprache zurechtzukommen. Folgerichtig
ist die adäquate Beherrschung und Förderung
der Zweitsprache Deutsch nicht nur Gegenstand
des Deutschunterrichts, sondern als Querschnittsaufgabe
auch in Fächern wie Mathematik und Physik
geboten. Meyer und Prediger geben dazu in
dem gerade erwähnten Aufsatz eine ganze Reihe
von didaktisch-pädagogischen Handlungsempfehlungen
für den Unterricht, die aber auch Sprecherinnen
und Sprechern der Muttersprache Deutsch
zugutekommen.
Darum brauchen wir besonders geschulte Lehrkräfte,
die nicht nur ihren Unterricht kompetent vorbereiten,
sondern auch Kenntnisse im Bereich „Deutsch
als Zweitsprache“ haben. Dies muss verpflichtender
Bestandteil der Lehrerausbildung sein, bei der es
noch vor wenigen Jahren möglich war, Lehrer zu
werden, ohne sich jemals pädagogisch damit auseinandergesetzt
zu haben, dass wir Vielfalt in Klassenzimmern
haben. Gleiches gilt auch für die Fortbildungsangebote
im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“,
die eigentlich noch ausgebaut gehören.
In dem Zusammenhang möchte ich das Projekt
„ProDaZ“ erwähnen, welches die Universität Duisburg-
Essen zusammen mit der Mercator-Stiftung im
Jahre 2010 initiiert hat. Hierbei werden neue Formen
der Lehrerausbildung erprobt, bei der neben
der fachlichen Ausbildung auch die Ausbildung im
Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ eingeschlossen
ist. Die Etablierung eines Kompetenzzentrums ist
dabei ebenso vorgesehen, und mit der landesweiten
Einrichtung der kommunalen Integrationszentren,
die in dem Bereich führend aktiv sind, bieten
sich zukünftig gute Voraussetzungen für die weitere
Verankerung von Deutsch als Zweitsprache in der
Lehrerausbildung und im Unterricht. Auch eine moderne
Förderung der muttersprachlichen Kompetenz
der Schüler darf dabei nicht fehlen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch die Migrantenselbstorganisationen
nennen, die wir als Multiplikatoren
gerade in die Communities hinein brauchen
und bei wichtigen Bildungsfragen einbeziehen müssen.
Wir haben es jetzt in der Hand, durch gezielte
Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass nicht nur die
Resultate Nordrhein-Westfalens in den nächsten
Ländervergleichen besser werden, sondern dass
wir auch mehr Chancengerechtigkeit in der Schule
und später im Beruf haben.
Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele politische
Kräfte dabei an einem Strang ziehen, so wie
es beim viel zitierten Schulfrieden der Fall war. –
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank,
Herr Kollege Bas.